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Beleidigt, bespuckt, verprügelt – darum haben Lesben und Schwule noch immer Angst auf deutschen Straßen

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Wenn du glaubst, mit der „Ehe für alle“ ist für LGBT*s alles in Ordnung, dann lies diesen Text.

„Bist du die Transe von eben?” Als Max E. diese Worte hört, ahnt er, dass der Tag nicht gut enden wird. Es ist ein später Abend im Frühling, Max E. hat eine Travestieshow auf einer Firmenfeier gespielt. Dort hat er sich bei einem Mann auf den Schoß gesetzt, als scherzhafter Teil der Einlage – und direkt gesehen, dass das nicht gut ankommt. Dieser Mann steht jetzt vor ihm, groß, muskulös, vermutlich Ende zwanzig.

„Ich bin die Person, die eben die Travestieshow gespielt hat“, antwortet Max. Er ist abgeschminkt, will gerade das Gebäude durch den Künstlerausgang verlassen, zum Parkplatz, es ist schon dunkel. Der Mann pfeift, zwei Freunde kommen dazu und halten Max am Oberkörper fest. Dann schlägt ihn der Mann in den Unterbauch, immer wieder, tritt in die Genitalien, bespuckt ihn, Max’ Nase bricht und eine Rippe.

Max E. als Lady Maxime und privat

BuzzFeed.de © privat / Via Bertram Plischke

Max E. ist 1,93 groß, ein kräftiger Mann, aber er wehrt sich nicht. „Ich dachte nur: Lass es vorbeigehen und wehr' dich nicht. Das spornt sie nur an“, erzählt Max BuzzFeed News Deutschland am Telefon. Wenige Minuten später lassen die Männer von ihm ab und verschwinden. Im Krankenhaus wird neben den Verletzungen eine Gehirnerschütterung festgestellt. Max erzählt dem Arzt, er sei die Treppe hinunter gefallen. Das erzählt er später auch seinen Freunden und seiner Familie. Aus Scham und aus Angst. „Ich habe das einfach verdrängt. Mir wurde erst viele Jahre später richtig bewusst, was da passiert ist.“ Heute hält er es für einen Fehler, nicht zur Polizei gegangen zu sein. Obwohl der Vorfall lange zurückliegt will Max E. nicht, dass der Angriff auf ihn zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Deshalb nennt BuzzFeed News seinen Nachnamen nicht.

Es dauert lange, bis Max E. sich wieder traut, eine Show zu spielen. Dabei ist das schon lange seine große Leidenschaft. Als Kind hat er bei Schulaufführungen mitgespielt. „Ich liebe die Bühne seit ich klein bin“, sagt er. Wenn er jetzt zur Arbeit fährt, steckt er die Hände in die Hosentaschen, damit niemand seine künstlichen, bunten Fingernägel sieht. Als kürzlich in einem Berufsseminar die Frage aufkam, ob man in der Berufskleidung zur Arbeit fahren könne, rief Max E. „Nein“.

Erst vor wenigen Jahren hat Max erstmals einer guten Freundin von dem Vorfall erzählt. Der Vorfall bei der Firmenfeier liegt jetzt neun Jahre zurück, Max lebt inzwischen in Magdeburg und arbeitet als Travestiekünstler unter dem Künstlernamen Lady Maxime und als Theaterpädagoge. Er ist ein fröhlicher Mensch, denkt nicht häufig daran zurück. „Aber wenn ich auf Facebook oder Instagram andere Schicksale lese, die oftmals viel Schlimmer sind als meines, kommt das wieder hoch. Dann denke ich: Verdammt, du hattest echt Glück.“

Angriffe auf Grund der sexuellen Orientierung gibt es in Deutschland jedes Jahr dutzende. Doch die Dunkelziffer der Menschen, die wie Max E. nicht in der Polizeistatistik auftauchen, liegt laut Schätzungen bei 90 Prozent.

Der 21-Jährige Blair Wilson wurde im Juni in einer Kleinstadt in Schottland als „Schwuchtel“ beschimpft und angegriffen und machte den Vorfall auf Facebook öffentlich.

„Wir wissen, wer du bist und du wirst bekommen, was du verdienst. Ich wünsche dir alles Gute“, schrieb Wilson auf Facebook. © BuzzFeed News / Via facebook.com

Die offiziellen Zahlen sind irreführend. 313 Straftaten bundesweit meldete das Bundesinnenministerium für 2017. Ahnlich viele meldete das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo – allerdings nur für Berlin.

Im Vergleich: In den USA werden 20 Prozent aller Hassdelikte auf Grund der sexuellen Orientierung verübt. Das zeigt ein Bericht des FBI von 2014. In England und Wales sind LGBT*s laut Kriminalstatistik die am zweithäufigsten von Hassverbrechen betroffene Gruppe. Für das Jahr 2016/2017 wurden dort 9.157 Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Glaubt man der offiziellen Statistik, sollen es in Deutschland im gleichen Zeitraum nur etwa 300 gewesen sein.

Polizeibehörden ignorieren die Probleme in einigen Bundesländern vollkommen, nur wenigen Länder geben Geld für konkrete Präventionsprojekte, aktuelle Zahlen außer denen des Bundesinnenministeriums gibt es zu dem Thema nicht. Der letzte umfangreiche Report für Deutschland stammt von einer NGO und liegt zehn Jahre zurück. In einem nationalen Aktionsplan gegen Hassgewalt vom Sommer 2017 schlug die Bundesregierung keine konkreten Maßnahmen zum Schutz sexueller Minderheiten vor.

Deshalb will BuzzFeed News Deutschland herausfinden, wie viele Übergriffe LGBT*s tatsächlich erleben. Dafür haben wir mit allen 16 Landespolizeibehörden und zahlreichen Expertinnen und Betroffenen gesprochen. Zudem haben wir im Sommer 2018 eine Umfrage zur Gewalt gegen queere Menschen gestartet – die mittlerweile mehr als 650 Personen beantwortet haben. Unsere Ergebnisse sind nicht repräsentativ, aber ein Hinweis darauf, wie groß das Problem wirklich ist.

So gaben mehr als 400 Befragte an, im letzten Jahr Opfer von verbalen Übergriffen geworden zu sein. Mehr als 130 Personen seien körperlich angegriffen worden. Jede vierte teilnehmende Person erklärte, sie wurde im vergangenen Jahr körperlich attackiert.

Hier findet ihr alle Ergebnisse unserer Umfrage.

„Dich muss nur mal ein richtiger Typ bumsen, dann wirst Du wieder normal!“

Weiblich, lesbisch, Berlin, 18-24 Jahre

„Dann hat er uns eine Eisenstange gezeigt, die er in der Hand hält und meinte, er gehe heute Abend noch auf Jagd.“

Non binary, lesbisch, auf dem CSD Bremen, 25-35 Jahre

„Du wirst in der Hölle brennen.“

Männlich, pansexuell, Hamburg, 36-45 Jahre

Eine der Personen, die eine öffentliche Debatte über das Thema fordern, ist die Autorin Stephanie Kuhnen.

„Als dumme Lesbe bezeichnet zu werden ist so sehr Alltag, dass es sich kaum lohnt, dagegen etwas zu sagen“, sagt Kuhnen im Gespräch mit BuzzFeed News. „Ich weiß gar nicht, wie oft ich in meinem Leben angespuckt worden bin. Ich bin deshalb nie zur Polizei gegangen. Ich dachte dann: Ist mal wieder eklig, wische ich ab und mache weiter.“

Stephanie Kuhnen im Gespräch mit BuzzFeed News

BuzzFeed.de © BuzzFeed News

Stephanie Kuhnen ist Autorin und Journalistin und hat ein Buch zum Thema lesbische Sichtbarkeit veröffentlicht. Sie ist Projektleiterin von L-Support, einem Hilfsnetzwerk für Übergriffe gegen Lesben und bisexuelle Frauen in Deutschland. Im vergangenen Jahr ist das Projekt von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz mit 40.000 Euro gefördert worden.

Auch Kuhnen stellt bei L-Support fest, dass sich kaum Menschen mit ihren Gewalterfahrungen melden. Im Jahr 2017 meldeten sich lediglich acht Frauen bei L-Support, wie das Netzwerk im vergangenen Jahr auf Anfrage bekannt gab. Das Projekt arbeitet zu dieser Zeit nur mit ehrenamtlichen Personen, ist nicht sehr bekannt und hat kein klares System zur Erfassung – das ändert sich nun.

„Es gibt keine Tradition des Meldens“, sagt Kuhnen im Gespräch mit BuzzFeed News. „Das Narrativ ist: Lesben werden nicht so häufig Opfer von Gewalt. Und wenn es nicht sichtbar ist, existiert das Problem in der öffentlichen und in der eigenen Wahrnehmung nicht.“

Eine EU-Studie von 2013 zeigt , dass jede fünfte lesbische Frau in Europa im vergangenen Jahr körperliche Gewalt oder Gewaltandrohung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung erlebt hat.

„Mit der Ehe für alle ist nicht alles gut. Wir leben in einer sehr homophoben und frauenfeindlichen Gesellschaft und in einem antifeministischen Rollback.“

Bei Stephanie Kuhnen blieb es nicht beim Anspucken oder bei verbalen Übergriffen. Sie wurde in ihrem Leben zwei mal zusammengeschlagen. „Einmal so heftig, dass ich mit angebrochener Rippe eine Woche zu Hause geblieben bin. Es gehört dazu, sich zurückzuziehen und zu sagen, es sei nichts gewesen.“

Ein anderer Fall ist ihr besonders in Erinnerung geblieben, erstmals spricht sie in einem zweiten Gespräch mit BuzzFeed News im Juli 2018 öffentlich davon.

Es ist 1996. Kuhnen fährt mit einer Gruppe lesbischer Freundinnen auf eine Kirmes bei Göttingen, um sich die Stände anzuschauen, eine Bratwurst zu essen.

Eine Gruppe angetrunkener Männer läuft vorbei und stoppt bei den beiden Frauen aus der Gruppe, die lange Haare haben. „Sie fassten sie anzüglich an und fragten: ‘Wollt ihr es nicht mal mit den richtigen Schwänzen versuchen“, sagt Kuhnen. Einer der Männer legt die Hand einer Frau in seinen Schritt und sagt: „Guck mal, das ist echt.“ Niemand sei eingeschritten, sagt Kuhnen.

„Lesben stören die soziale Ordnung, weil Männer keinen Zugriff auf den weiblichen Körper haben. Deshalb stellen sie sich zwischen Paare und sagen: Ich kann euch alle beide haben.“

Die Frauen wehren sich lautstark, erinnert sich Kuhnen heute, es kommt zu einer Schubserei, die sich schnell wieder auflöst. Kurz danach begegnen sich die beiden Gruppen erneut, an einem Schießstand. „Haha, neues Spiel, Lesben knallen“, ruft einer und die Gruppe beginnt, auf die Frauen zu schießen. Niemand wird verletzt, nur auf der Lederjacke einer der Frauen sind Abdrücke der Munition zu sehen. „Was mich damals nachhaltig schockiert hat, ist, dass die Leute drumherum gelacht haben“, sagt Kuhnen. „Die fanden das lustig. Wir waren in einer Umgebung, in der man sich eigentlich sicher fühlen kann. Wie schnell das umschlagen kann. Wir hatten das Gefühl, einen ganzen Mob gegen uns zu haben.“

„Man schlägt keine Frauen, man spuckt sie an.“

Einige Bundesländer erfassen Hasskriminalität gegen queere Personen nicht

Dass das Thema Gewalt gegen LGBT* wenig Aufmerksamkeit findet, liegt auch daran, dass einzelne Bundesländer das Thema weitgehend ignorieren. In ganz Thüringen sind offiziell zwischen 2013 und 2017 lediglich drei Menschen wegen Angriffen infolge ihrer sexuellen Orientierung erfasst worden, schreibt das Landeskriminalamt auf Anfrage. In Rheinland-Pfalz waren es im selben Zeitraum laut Statistik sieben, im Saarland sechs.

Auf der anderen Seite wurden allein in Berlin im vergangenen Jahr 164 solcher Straftaten polizeilich erfasst. Und das Anti-Gewaltprojekt Maneo verzeichnete insgesamt 800 Hinweise aus dem ganzen Bundesgebiet – so viele wie noch nie zuvor.

Anzeige von VelsPol für ein Bundesseminar 2018

BuzzFeed.de © BuzzFeed News / Via velspol.de

„Das passt einfach nicht“, sagt Thomas Ulmer, Bundesvorsitzender von VelsPol, einem bundesweiten schwul-lesbischen Polizeiverein. VelsPol setzt sich für ein besseres Verhältnis zwischen LGBT*s und Polizei ein und ist in zwölf Bundesländern vertreten. „Die Erfassung der Hasskriminalität gegen LSBTI ist ein Problem.“

Der Grund dafür ist, dass jedes Bundesland selbst entscheidet, wie es die Vorgabe für die Erfassung von Hassverbrechen umsetzt – und wie genau Gewalt gegen LGBT*s statistisch erfasst wird. „Die Angaben zur persönlichen sexuellen Orientierung von Opfern wie „schwul“, „lesbisch“ oder „transgender“ sind im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes nicht verpflichtend“, teilt die Pressestelle des Bundeskriminalamtes BuzzFeed News mit.

„Die Behörden nehmen Gewalt gegen LSBTI nicht ernst.“

In Mecklenburg-Vorpommern etwa weiß deshalb niemand, wie oft queere Personen angegriffen oder beleidigt wurden. Die Zahlen werden schlicht nicht erfasst. Es sei „kein Kriminalitätsschwerpunkt“, teilt eine Pressesprecherin des LKA mit. Das hätten Stichwortrecherchen der Vergangenheit gezeigt. Auch in Thüringen findet bis heute keine gesonderte statistische Erfassung für sexuelle Minderheiten statt.

Bastian Finke, der die schwule Opferberatungsstelle Maneo leitet, spricht gegenüber BuzzFeed News von einem Teufelskreis. „Die Behörden nehmen Gewalt gegen LSBTI nicht ernst: Sie fordern aussagekräftigere Zahlen, aber tun nichts dafür, sie zu erheben.“

„Wir haben ein riesiges Dunkelfeld“, sagt Finke. Dass die Zahlen in Berlin verhältnismäßig hoch seien, läge an den einmaligen Strukturen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschaffen worden seien.

BuzzFeed.de © dpa

In Berlin gibt es eine auf LGBT* spezialisierte Abteilung der Staatsanwaltschaft. Sie arbeitet mit zwei hauptamtlichen Ansprechpersonen bei der Polizei zusammen. Und mit Maneo, der einzigen professionalisierten Opferberatungsstelle für LSBTI in ganz Deutschland. In allen sechs Berliner Polizeidirektionen gibt es Ansprechpersonen für LGBT*s, ebenso beim Staatsschutz.

Solche Ansprechpersonen gibt es nach Aussage der Landeskriminalämter in zehn weiteren Bundesländern, aber nur in vier Bundesländern arbeiten sie hauptamtlich. Zu ihren Aufgaben gehört auch, Fortbildungen zum Thema für Polizist*innen zu organisieren oder Menschen innerhalb der Behörden bei eigenen Coming Outs zu unterstützen.

„Die Krux ist: Da sitzen oft Leute, die selber LSBTI sind und nur deshalb diese Aufgaben zudelegiert bekommen haben – obwohl unter ihnen oft fachliche Kenntnisse fehlen. Berlin ist derzeit das einzige Bundesland, dass deutlich macht, dass Gewalt gegen LSBTI ernst genommen wird“, sagt Finke.

Bayern und Sachsen etwa haben gar keine spezialisierten Ansprechpersonen. In unserer Umfrage schildert ein schwuler Mann aus Bayern, wie problematisch die fehlende Aufmerksamkeit der Polizei für ihn ist.

„Wir, mein Ehemann und ich, wurden auf dem Weg von Zuhause zur Straßenbahnhaltestelle von hinten bespuckt. Wo ich mich umgedreht habe, hat einer der Männer mich geohrfeigt und beschimpft "gay shit". [...]. Da es in Nürnberg keine LGBTI Ansprechpartner bei der Polizei gibt, haben wir uns entschieden, keine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Seit diesem Vorfall fühlen wir uns in unserem Viertel nicht mehr sicher.“

In Hessen arbeitet die Polizei für die Erfassung mit einer eigenen Kategorie „Opfertyp 803: Homosexuelle“. Straftaten gegen Transpersonen etwa können dort noch nicht gesondert erfasst werden. „Das sind Entwicklungen in der Gesellschaft, an die sich unsere Statistik noch anpassen muss“, sagt der Pressesprecher des Hessischen Landeskriminalamtes BuzzFeed News am Telefon.

Der schwul-lesbisch Polizeiverein VelsPol erarbeitet derzeit eine Resolution an alle Innenministerien, die BuzzFeed News vorliegt. Darin wird von „Untererfassung“ geschrieben – Verbrechen gegen LGBT* müssten sichtbarer gemacht werden, fordert die Organisation. So soll etwa die Erfassung von Hasskriminalität bundesweit vereinheitlicht werden. Und Beamte, die Hasskriminalität bearbeiten, sollen Leitlinien bekommen.

„Wir wollen Druck aufbauen, um zu sagen: Ihr müsste euch damit beschäftigen. Ihr können nicht eine Opfergruppe in diesem Staat hinten runterfallen lassen, weil wir bei der Polizei nicht damit umgehen können“, sagt Ulmer BuzzFeed News am Telefon.

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Betroffene gehen nur selten zur Polize

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Die Zahlen der Übergriffe sind jedoch nicht nur irreführend, weil sie nicht richtig erfasst werden – sondern auch, weil Betroffene nur selten zur Polizei gehen.

Nur acht Prozent aller an unserer Umfrage teilnehmenden Personen haben den letzten Übergriff bei der Polizei gemeldet. Die meisten glauben nicht, dass eine Anzeige zu etwas führen wird. Viele Betroffene schreiben außerdem, dass sie sich von der Polizei diskriminiert fühlen.

Auf der Straße mit den Worten angegriffen zu werden ,Sowas wie dich du Möchtegern-Schlampe hätten wir früher vergast und durch den Schornstein geblasen‘. Ich war 26 Jahre alt und ich hatte Angst das es noch zu einem körperlichen Übergriff kommt.

Trans-Frau, bisexuell, Baden-Württemberg, 25-35 Jahre

Mit 14 wurde ich geohrfeigt, mir wurde gesagt ich habe alle Geschlechtskrankheiten, die es nur gibt, jeder würde mich vögeln dürfen und ich sei nichts wert.

Weiblich, pansexuell, unter 18 Jahre

Ich frage mich jeden morgen wenn ich mich anziehe: Sehe ich ok aus, oder werde ich so angemacht? [...] Ich will mich nicht verstecken müssen, aber ich habe jeden Tag das Gefühl, das muss das ich.

Rafael, transfluid, studiert in NRW, 25 Jahre

„Diese Fälle, dass LGBT bei der Polizei nicht ernst genommen werden, gibt es, das muss ich zugeben. Solche Fälle sind uns sehr wohl bekannt“ sagt Ulmer von VelsPol. Genauere Angaben zu konkreten Vorfällen will er nicht machen. „In meinem Ort wurde ich selbst von einem Polizisten als „Schwuchtel“ beschimpft“, schreibt ein schwuler Mann aus Schleswig-Holstein in der Umfrage bei BuzzFeed News.

Ein lesbisches Pärchen aus einer Stadt in Norddeutschland erzählt BuzzFeed News am Telefon, dass es von vermutlich rechtsradikalen Nachbarn seit Jahren schikaniert wird. Anzeigen bei der Polizei, die BuzzFeed News vorliegen, stützen die Vorwürfe. Eine der Betroffenen ist Claudia H., die anonym bleiben möchte, weil sie weitere Übergriffe fürchtet. Sie lebt seit 30 Jahren mit ihrer Ehefrau zusammen, vor einigen Jahren kauften sie ein Haus am Stadtrand.

2012 seien die Probleme losgegangen: Die Telefonsprechanlage am Haus wurde beschädigt, das Auto, ein grauer Ford Fiesta, mit Baseballschlägern zertrümmert, der Briefkasten in die Luft gesprengt. Dann habe sie auf dem Nachbargrundstück eine Kamera entdeckt, die auf ihr Schlafzimmer gerichtet sei. Der Großvater der Nachbarsfamilie habe laut Claudia H. mehrfach eine Fingerpistole auf ihre Ehefrau gerichtet, wenn diese den Balkon betrat – und habe abfällige Bemerkungen über ihre Sexualität auf der Straße gemacht.

„Wir haben bei der Polizei mehrfach darauf hingewiesen, dass wir ein Frauenpaar sind, aber bei der Vernehmung sagte der Kommissar, das hätte damit nichts zu tun, sowas passiere in der Stadt nicht. Wir wurden überhaupt nicht ernst genommen.“

2017 fuhr erstmals auf dem Bremer CSD ein Polizeiauto mit Regenbogenfahne mit, um LGBT* Ängste vor der Polizei zu nehmen. Bremen solle ein Ort sein, an dem sich Menschen „jeder sexuellen Orientierung und jeder geschlechtlichen Identität wohl und sicher fühlen“, sagte Sven Rotterberg, der Polizei-Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen.

Fallbeispiele der Berliner Staatsanwaltschaft aus Berlin, 2016:

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Weil der Schutz in der Öffentlichkeit nicht ausreicht, passen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Interpersonen ihr Verhalten an. 70 Prozent geben an, dass sie konkrete Vorsichtsmaßnahmen treffen, um sich vor Übergriffen zu schützen. Nur ein Drittel sagt, dass sie sich in der Öffentlichkeit sicher fühlen.

Viele leben ihre sexuelle Orientierung nur voll aus, wenn sie zu Hause oder in einem geschützten Raum sind. Und über die Hälfte der Teilnehmenden schaut sich aus Angst vor Angriffen regelmäßig auf der Straße um.

Seit 2015 hat die Bundesregierung die Ausgaben, um sexuelle Minderheiten vor Gewalt zu schützen, fast verdoppelt. 1,6 Millionen Euro Fördergelder werden dafür 2019 zur Verfügung stehen, teilt ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage mit.

Im Juli versuchte der Berliner Justizsenator, Rechte von LGBT*s im Grundgesetz festzuschreiben. Mit einer Bundesratsinitiative sollte der Artikel 3 für die Gleichbehandlung mit dem Zusatz „sexuelle Identität“ erweitert werden. Der Versuch scheiterte. Im Bundesrat stimmten nicht genug Bundesländer zu.

Viele Menschen haben auch deshalb mit BuzzFeed News gesprochen, weil sie das Gefühl haben, das Problem werde politisch ignoriert – und weil sie glauben, dass mit der „Ehe für alle“ noch lange nicht alles gut ist. „Es gibt so viel Scheiß, der Menschen unserer Szene zugefügt wird“, sagt Max E. im Gespräch mit BuzzFeed News. „Das müssen mehr Personen erfahren.“

Dies ist der Auftakt einer mehrteiligen Reihe zum Thema Hass und Gewalt gegen LGBT*s. In den kommenden Wochen wird BuzzFeed News weitere Beiträge zum Thema veröffentlichen. Hier findest du den Link zu unserer Umfrage, an der du gerne anonym teilnehmen kannst.

Hier findest Du alle LGBT*-Beiträge von BuzzFeed News Deutschland. Mehr Recherchen von BuzzFeed News Deutschland findest Du auch auf Facebook und Twitter oder im RSS-Feed oder in unserem Podcast, in dem wir auch über diese Recherche sprechen. Mehr Informationen über unsere Reporterinnen und Reportern, unsere Sicht auf den Journalismus und sämtliche Kontaktdaten – auch anonym und sicher – findest du auf dieser Seite.

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