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AfD-Spitzenkandidat Gauland findet, Deutsche sollten stolz sein auf Leistungen in zwei Weltkriegen

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Hier findet ihr Gaulands Aussagen im Video.

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat vor AfD-Anhängern gefordert, keine Verantwortung mehr für die Verbrechen deutscher Soldaten zu übernehmen. Stattdessen hätten die Deutschen das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen im ersten und zweiten Weltkrieg.

Gauland sagte wörtlich: „Man muss uns diese 12 Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus.“ Und „Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“

Die Äußerungen Gaulands werfen erneut die Frage auf, wie glaubwürdig sich die AfD gegenüber Rechtsextremen abgrenzt. Sie waren Teil einer Rede, die Alexander Gauland am 2. September auf dem sogenannten "Kyffhäuser-Treffen" hielt: einer Veranstaltung des Flügels, einer national-konservativen Gruppierung innerhalb der AfD.

Ausgerichtet wurde das Treffen vom „Kreisverband NEM“ der AfD, deren Chef Björn Höcke ist. Nachdem Höcke das Holocaust-Denkmal in Berlin Anfang des Jahres als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, hatte der Bundesvorstand beschlossen, ein Parteiausschluss-Verfahren gegen den auch in der AfD umstrittenen Rechtsaußen-Politiker zu eröffnen.

Doch das Verfahren ist nach wie vor nicht eröffnet. Stattdessen hält Spitzenkandidat Alexander Gauland es für möglich, Björn Höcke in den Bundesvorstand der Partei zu wählen. Höcke sei „ein Teil der Seele der AfD“, sagte Gauland im Interview mit der Bild-Zeitung.

BuzzFeed News hat Alexander Gauland um eine Stellungnahme zu seinen Äußerungen gebeten. Wir haben unter anderem gefragt, ab welchem Jahrgang deutsche mit der Nazi-Vergangenheit seiner Meinung nach nichts mehr zu tun haben sollten und ob er nicht befürchtet, mit seinen Worten solchen Menschen nach dem Mund zu reden, die einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte ziehen wollen. Bislang hat Gauland auf diese Anfrage nicht reagiert.

Gaulands komplette Rede beim Kyffhäuser-Treffen

Wir ordnen die wichtigsten Äußerungen Gaulands für Euch im Einzelnen ein.

„Ja, wir haben uns mit den Verbrechen dieser 12 Jahre auseinandergesetzt.“

Gauland verzichtet offenbar bewusst darauf, auszusprechen, was hier gemeint ist: die Nazis. Das Dritte Reich. Hitler, Goebbels, Himmler, Eichmann & Co. Auschwitz. Gaskammern, in denen Säuglinge starben. Der systematische Massenmord an Juden, Homosexuellen, Behinderten, Sinti & Roma, Zivilisten in Kriegsgebieten, politisch Andersdenken und vielen mehr.

Warum Gauland das tut, ist klar: Es ist einfacher, patriotische Gefühle zu entfachen, wenn all das ungesagt bleibt und hinter allgemeinen Phrasen versteckt wird. So vermeidet Gauland, dass sich seine Anhänger an all das erinnern, an das sich Deutsche beim Blick auf ihre Geschichte erinnern müssten.

„Kein Volk hat so gründlich mit einer falschen Vergangenheit aufgeräumt, wie das Deutsche.“

Auch hier ist interessant, welche Worte Gauland nutzt – und welche nicht. Er bedient zunächst das Narrativ vom gründlichen Deutschen. Das beruhigt. Das klingt verantwortungsvoll. Und mehr noch: das entlässt ihn und alle Zuhörenden aus der Verantwortung – denn unsere Vorgänger hätten hier ja schon „gründlich“ gearbeitet.

Und: Gauland spricht nicht von einer schockierenden, einer schmerzhaften, brutalen, unmenschlichen oder gewalttätigen Vergangenheit – sondern von einer falschen. In Bezug auf das Dritte Reich eine der schwächsten Vokabeln, die man finden kann. Und noch dazu eine mit einer, für ihn hilfreichen, Doppeldeutigkeit: verstehen kann, wer will, hier nämlich auch, dass es falsch sei, an diese Vergangenheit überhaupt zu denken.

„Man muss uns diese 12 Jahre jetzt nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr.“ (Jubel. Applaus. "Gauland, Gauland"-Rufe.)

Mit „jetzt nicht mehr“ pflanzt Gauland vor allem einen Gedanken in die Köpfe seiner Zuhörer: dass der Prozess der Erinnerung irgendwann einmal abgeschlossen sein könnte. Dass es eine bestimmte Strecke gäbe, die man zurücklegen musste – die aber längst erledigt sei.

Und mit der Vokabel „heute“ erleichtert der AfD-Mann einmal mehr das Gewissen seiner Anhänger: denn so erzeugt er die Suggestion, unsere Vorfahren hätten eine Verantwortung, die wir heute nicht mehr haben.

„Und deshalb haben wir auch das Recht, uns unsere Vergangenheit zurückzuholen.“

Aus der Vergangenheit leitet Gauland keine Pflichten ab, sondern nur Rechte. Die Vokabel „Recht“ erzeugt dabei einen besonders starken Eindruck: den, dass das kein Punkt sei, über den man anderer Meinung sein könne oder der zur Diskussion stünde. Das sorgt bei seinen Anhängern für Selbstbewusstsein – und erzeugt das Gefühl, man müsse sich nicht mehr rechtfertigen oder diskutieren.

„Wenn die Franzosen zurecht stolz auf ihren Kaiser sind, und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ (Rufe: Bravo! Bravo!)

Napoleon hatte den „Code Civil“ eingeführt: ein neues Zivilrecht, dass die Trennung von Kirche und Staat einführte, der unter anderem die Zivilehe ermöglichte und die Gleichberechtigung der Juden. Churchill gilt als einer der größten Politiker des 20. Jahrhunderts, führte Sozialreformen durch, kritisierte Chamberlains Beschwichtigungspolitik gegenüber Adolf Hitler und führte Großbritannien im Krieg gegen das Dritte Reich.

In diese Traditionslinie stellt Gauland die Wehrmacht, deren Rolle im Zweiten Weltkrieg unter Historikern unumstritten ist: Die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ ist ein Mythos. Natürlich war nicht jeder Soldat gleich ein Kriegsverbrecher – aber er war Teil eines Systems, das Kriegsverbrechen ermöglichte. Die Wehrmacht behandelte Gegner systematisch nicht nach Kriegsrecht. Sie ermordete Zivilisten. Sie bereitete den Gräueltaten der SS den Boden. Gauland fordert ein Recht, hierauf Stolz zu sein.

Alexander Gauland ist Jurist und Publizist. Er macht seit Jahren Politik. Und er sprach mit einem vorbereiteten Rede-Manuskript, nicht spontan oder im Eifer des Gefechts. Man darf daher annehmen: nichts von alledem ist Zufall.

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